Schon in der Antike war man sich der Wechselwirkung von Gefühlen und körperlicher Gesundheit bewusst. Doch die moderne Schulmedizin beschäftigt sich erst seit rund 25 Jahren wieder intensiv mit dem Einfluss von Gefühlen und Gedanken auf den Körper und vor allem das Immunsystem. Psychoneuroimmunologie (PNI) ist somit zu einem der bedeutendsten Gebiete moderner medizinischer Forschung geworden.

Die Psyche hat einen enormen Einfluss auf die Gesundheit“, erklärt der Arzt und Psychologe Univ.-Prof. DDr. Christian Schubert von der Med-Uni Innsbruck. Deshalb sagt nun die neue medizinische Forschungsrichtung Psychoneuroimmunologie (PNI) der Aufspaltung von Leib und Seele den Kampf an. Dieses neue Forschungsgebiet wurde etabliert, nachdem der amerikanische Psychologe Robert Ader 1974 experimentell nachwies, dass das Immunsystem mit dem zentralen Nervensystem zusammenarbeitet und lernen kann. Seitdem ist die Psychoneuroimmunologie zu einem der bedeutendsten Gebiete moderner medizinischer Forschung geworden.

Eine Grundlage ist die Erkenntnis, dass Botenstoffe des Nervensystems auf das Immunsystem und Botenstoffe des Immunsystems auf das Nervensystem wirken. So kann etwa psychischer und körperlicher Stress die Funktionen der Immunabwehr negativ beeinflussen. Dadurch steigt die Anfälligkeit für Infektionen. Vor allem langfristige Belastungen wie Depressionen, Erschöpfung oder Versagensängste können zu einer nachhaltigen Abwehrschwäche des Immunsystems führen. Die gute Nachricht: umgekehrt stärken Lebensfreude, Gelassenheit und Liebe die Immunfunktionen.

Der Mensch ist keine Maschine

„Letztlich sind die Erkenntnisse eine klare Ansage an all jene Ärzte, die immer noch meinen, Seele habe nichts mit dem Körper zu tun und medizinische Tatsachen ließen sich am besten durch Kenntnis kleinster molekularer Bausteine erklären“, so Christian Schubert. Der Mensch ist keine Maschine, die sich beliebig vermessen, durchleuchten und behandeln lässt, wie es die Biomedizin mit ihrem technischen Fortschritt propagierte.

„Es ist nicht damit getan, durch den Arzt eine Wunde mechanisch schließen zu lassen“, erklärt Christian Schubert. Beim Wundheilen sind zwei Arbeiter nacheinander tätig: der Arzt mit seinem Nähen und die Heilkraft der Wunde, die wesentlich von der psychischen Ausgangssituation der verletzten Person abhängt. Stress verzögert etwa die Wundheilungsgeschwindigkeit, umgekehrt kann positiv Erlebtes zu deren Beschleunigung beitragen.

Christian Schubert: „Mit der Einbeziehung der psychischen Wirkkraft und der damit verbundenen Individualisierung des Menschen in die Medizin stößt die derzeitige Medizin aber an ihre Grenzen. Denn Selbstheilungskräfte und Placebo lassen sich nicht verschreiben und schon gar nicht in Gebrauchsanweisungen formulieren.“ Die Medizin konzentriert sich derzeit viel zu sehr auf den Körper. Doch das ist nicht genug.

„Denn so wie Muskeln, Sehnen und Wirbel miteinander verbunden sind, so sind Körper und Seele als eine Einheit zu betrachten. Mich interessiert der Mensch als Ganzes – in all seinen Eigenheiten. Und ich weiß, dass genau hier der Schlüssel zu einer besseren, individuelleren und erfolgreicheren Medizin liegt“, so der Experte. Er glaubt fest daran, dass durch die Psychoneuroimmunologie die gesamte Medizin ein Quantensprung an neuen Erkenntnissen machen wird. Diese Erkenntnisse lassen sich in Zukunft für eine menschengerechtere Diagnostik und Therapie einsetzen. Auch bei bis dato so unzugänglichen Krankheiten wie den Autoimmunerkrankungen und Krebs.

Magazin Zoë 04/15

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