Angststörungen zählen weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei Erwachsenen und Jugendlichen. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. Obwohl es gute Behandlungsmöglichkeiten gibt, beginnt die fachgerechte Versorgung oft verzögert. Häufig äußern Betroffene zunächst körperliche Beschwerden, wodurch Angststörungen in der Primärversorgung nicht sofort erkannt werden, erklärt Mag. Gerhard Hintenberger, Psychotherapeut und Lehrtherapeut. Starkes Vermeidungsverhalten und lange Wartezeiten auf Therapieplätze verschärfen das Problem zusätzlich.
Neue digitale Ansätze wie Virtual Reality (VR), app-basierte Selbsthilfeprogramme und künstliche Intelligenz (KI) ergänzen klassische Therapieformen und können Versorgungslücken schließen. Sie bieten eine niederschwellige Möglichkeit für Betroffene, besonders in unterversorgten Gebieten oder für Personen, die sich in einem Face-to-Face-Setting unwohl fühlen. Auch können sie helfen, die Wartezeit auf Therapieplätze sinnvoll zu überbrücken.
Selbsthilfe-Apps und Online-Beratung
Gut aufbereitete Psychoedukations-Websites und Inhalte in sozialen Medien tragen dazu bei, Symptome zu lindern und Betroffene zu ermutigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einen Schritt weiter gehen interaktive Selbsthilfeprogramme, die auf der kognitiven Verhaltenstherapie basieren. In Deutschland können zertifizierte Apps sogar auf Rezept verordnet werden.
Durch die Alltagsnähe von Smartphones werden diese Angebote gut angenommen. Zudem bieten schriftbasierte Online-Beratungen eine weitere Möglichkeit zur Unterstützung. Der schriftliche Austausch, etwa über E-Mails oder Chats, kann nicht nur entlastend wirken, sondern auch durch die dauerhafte Verfügbarkeit der Protokolle hilfreich sein.
Virtual Reality: Therapie in der virtuellen Welt
Eine der innovativsten Technologien in der Angsttherapie ist Virtual Reality. Sie ermöglicht es, Betroffene in einer sicheren Umgebung mit angstauslösenden Situationen zu konfrontieren – ein Ansatz, der als Expositionstherapie bekannt ist und sich als besonders effektiv erwiesen hat. Da das Gehirn virtuelle Reize ähnlich wie reale verarbeitet, zeigt die Forschung bereits vielversprechende Ergebnisse beim Einsatz von VR.
Künstliche Intelligenz: Frühzeitiges Eingreifen
KI bietet ebenfalls großes Potenzial in der Angsttherapie. Mit Daten von Smartphones und Wearables können Verhaltensmuster erkannt und durch sogenannte „Just-in-Time Adaptive Interventions“ rechtzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Diese individuell zugeschnittenen Interventionen helfen, akute Angstsituationen besser zu bewältigen.
Chancen und Herausforderungen
Digitale Ansätze bieten flexible und innovative Möglichkeiten, die Versorgung von Angstpatient:innen zu verbessern. Dennoch besteht noch die Notwendigkeit weiterer Forschung, um langfristige Wirksamkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Der verantwortungsvolle Umgang mit sensiblen Daten und die Integration digitaler Tools in den therapeutischen Alltag sind dabei besonders wichtig.
Digitale Technologien ergänzen die klassische Therapie und eröffnen neue Perspektiven für die Behandlung von Angststörungen – von der Selbsthilfe bis zur Unterstützung durch KI und VR.
Quelle: Kongress für Allgemeinmedizin, Graz, November 2024