Diesen Sommer konnten Menschen jeden Alters im südtirolerischen Brunico/Bruneck so ausgelassen, verrückt und kindisch sein, wie sie wollten. Denn bei der European Juggling Convention (EJC) ist so ein Zirkus normal: ob einer mit einem Ball auf dem Kopf frühstückt, sich eine Gruppe in der brütenden Hitze bei einer Schaumparty vergnügt, Leute auf dem Kopf stehen, auf Händen gehen, mit dem Einrad vorbeiflitzen oder eine Mutter mit ihren Kindern ganz selbstverständlich auf Stelzen zum nächsten Workshop geht. Ständig fliegt etwas in die Luft: Keulen, Bälle, Reifen, Stangen, Tücher, Hüte, Ringe oder auch Menschen.

Die Stimmung ist fröhlich und dennoch höchst konzentriert. Alle sind sich einig: Es gibt nichts Schöneres als gemeinsames Üben, Experimentieren und Neues zu lernen – umgeben von vielen Gleichgesinnten aus allen Teilen der Welt. Geschlafen wird meist direkt am Festivalgelände in Zelten und es gibt Tag und Nacht „Action“, Workshops, Vorführungen, Konzerte und Partys.

Vor 38 Jahren organisierten ein paar enthusiastische Jongleure aus verschiedenen Teilen Europas ein kleines Treffen, um sich auszutauschen, kennen zu lernen und sich gegenseitig neue Tricks beizubringen. Mittlerweile ist die Europäische Juggling Convention (EJC) die weltweit größte Veranstaltung von Jongleuren für Jongleure. Diesen Sommer kamen rund 4.000 Leute aus 55 verschiedenen Nationen in das bergige Südtirol nach Brunico/Bruneck, um sich dem fröhlichen Zirkustreiben intensiv hinzugeben. Vom Anfänger bis zum Spitzenartisten, vom angestellten Banker bis zum freien Straßenkünstler, der noch nie eine Firma von innen gesehen hat, fügte sich alles zu einem eigenen, farbenfrohen Paralleluniversum.

Raum für Austausch schaffen

„Unser Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, in dem man sich austauschen kann. Ein schönes Zusammenkommen, bei dem man immer wieder Leute aus der ganzen Welt trifft, die man sonst nirgendwo treffen kann“, freut sich einer der Mitorganisatoren, David Weichenberger, über die gelungene Veranstaltung. Er selbst war schon bei zehn internationalen EJC-Conventions dabei, jongliert seit 20 Jahren und ist nebenbei Weltmeister im Downhill-Einradfahren. Heuer ist David Weichenberger als Organisator spontan eingesprungen, da der ursprünglich geplante Ort ausfiel und schnell gehandelt werden musste.

Traumhafte Kulisse

Brunico/Bruneck bot sich mit der traumhaften Bergkulisse und seiner zentralen Lage als schöner Festivalort an. Zudem unterstützte die ganze Gemeinde die Künstler und Artisten bestmöglich bei der Gestaltung dieses Events und freute sich sichtlich auch über die zahlreichen Darbietungen im Stadtzentrum. Innerhalb nur eines Jahres musste der gesamte Event organisiert und auf die Beine gestellt werden. Das erforderte die unbezahlte Zusammenarbeit zahlreicher Teilnehmer.

„Es ist ein riesengroßer ehrenamtlicher Event und es ist total schön zu sehen, wie sich alle Menschen miteinbringen und ein Teil davon sind“, erklärt David Weichenberger die Idee der Veranstaltung. „Diese Convention ist nur deswegen umsetzbar, weil so viele Menschen mithelfen. So wird jeder auch ein Teil von dem Ganzen und fühlt sich gleich viel mehr mit dabei.“ Dieser Spirit ist tatsächlich das, was einem gleich entgegenschlägt, wenn man das Gelände betritt: Offenheit, Leichtigkeit, Spaß, Begeisterung und Ausgeglichenheit – gepaart mit ruhiger Zentriertheit und höchster Konzentration.

Alles dreht sich um dich!

Konzentration und auch Ausdauer sind nämlich bei aller Begeisterung absolut erforderlich. Denn wenn es am Schluss auch noch so leicht aussieht – so manch einer trainiert (gerne) an die 20 Stunden in der Woche, um die richtige Fingerfertigkeit bzw. Körperbeherrschung zu erlangen oder neue Figuren zu lernen. Jonglieren hat erwiesenermaßen eine hohe Wirkung auf Körper und Geist. Es steigert die Konzentrationsfähigkeit, die Reaktionsschnelligkeit, das räumliche Vorstellungsvermögen sowie Zeit-, Rhythmus- und Gleichgewichtsgefühl. Es werden beide Gehirnhälften trainiert und somit die kognitive Leistung gesteigert. Was vielleicht erklärt, warum die Leute durch die Bank so ausgeglichen wirken.

Höher, weiter, schneller!

Bälle und Keulen sind die am meisten verbreiteten Jonglierinstrumente, gefolgt von Stangen, Diabolos und Reifen. In den letzten Jahren erfreute man sich auch zunehmend der effektvollen Feuer- und Lichtjonglage – schlichtweg es ist für jedes Talent etwas dabei. „Es wird immer verrückter“, lacht David Weichenberger. „Ich finde es total faszinierend, wie viel unterschiedliche Jonglierformen und neue Geräte es mittlerweile gibt. Früher war man auf fünf Bälle stolz, mittlerweile jonglieren manche Leute mit sieben! Aber es entwickeln sich auch ganz viele verschiedene neue Richtungen. Ich finde, es ist schön, wie sich alles durchmischt und vielfältig bleibt.“ Wer jetzt Lust bekommen hat, seinen nächsten Sommerurlaub einmal ganz anders zu verbringen: Die 39. EJC 2016 findet in der Nähe von Amsterdam in Almere vom 30.7. bis 7.8. statt.

Magazin Zoë 03/2015

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