Der aktuelle World Food Report weist aus, dass die Landwirtschaft mit dem erreichten Niveau ihrer Produktivität zwölf Milliarden Menschen normal ernähren könnte – bei einer Zufuhr von 2.200 Kalorien für einen Erwachsenen täglich. „Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet. Und seine Mörder gehörten vor ein Gericht“ – Jean Ziegler nennt die Dinge beim Namen. Den Internationalen Währungsfonds, die Welthandelsorganisation, die Weltbank und das System des Kapitalismus hält er für die Hauptübel dieser menschenverachtenden Entwicklung. Seine Botschaft: „Wir können aber etwas tun. Ändern wir die Welt.“
Weltweit sterben jede Jahr 74 Millionen Menschen, ein Prozent der Weltbevölkerung, aus unterschiedlichsten Gründen, 14 Millionen aber an Hunger. Das hängt jedoch nicht damit zusammen, dass die Welt zu wenig Nahrungsmittel produziert, sondern mit dem Zugang dazu. Jean Ziegler ist einer der charismatischsten Kritiker weltweiter Profitgier und der derzeitigen Weltordnung, Globalisierungskritiker und Berater des UN-Menschenrechtsrats. Der Genfer Soziologe begann schon in den 70erJahren gegen den Westen und den Raubtierkapitalismus aufzutreten. Mittlerweile ist Jean Ziegler 80 Jahre alt und kein bisschen leise. „Keiner kann normal und glücklich in einer Welt leben, wo alle fünf Sekunden ein Kind verhungert“, erklärt Ziegler.
16 Prozent besitzen 83 Prozent
Schuld an der Krise ist für ihn die Finanzbranche. Denn nachdem Großbanken die Finanzkrise 2007/2008 ausgelöst haben, zocken sie jetzt verstärkt mit Lebensmitteln. Und die Reichsten werden immer reicher. 16 Prozent der Weltbevölkerung besitzen 83 Prozent der Vermögenswerte auf der Welt. Zugleich sind eine Milliarde Menschen schwerst unterernährt, alle fünf Sekunden stirbt ein Kind. Das müsste, dürfte nicht sein. Zudem sind Kriege, Hunger und Not auch in Europa wieder zum Alltag geworden, auch aufklärungsfeindliches Denken gewinnt immer mehr an Boden.
Die Welt verfügt zwar erstmalig über die Ressourcen, Hunger, Krankheit, Tyrannei auszumerzen, aber der Kampf um knappe Güter dauert an. Jean Ziegler belegt mit umfangreichem Zahlenmaterial seine Thesen, analysiert die Welt und ruft dazu auf, zu einer sozialen Ordnung beizutragen, die nicht auf Beherrschung und Ausbeutung basiert. Seine Hoffnung richtet sich auf eine weltumspannende Zivilgesellschaft, die antritt, die Ursachen der kannibalischen Weltordnung zu bekämpfen.
Aufruf zum Widerstand
Aber Jean Ziegler kreidet nicht nur an und zeigt die Probleme unserer Welt auf, er hat auch Lösungen, die innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden könnten. Drei Schritte wären nötig: Der Internationale Währungsfonds könnte die Totalentschuldung der ärmsten Länder beschließen. Agrartreibstoffe müssten in Europa mit hohen Zöllen belegt werden, weil sie Millionen Tonnen an Nahrung vernichten. Und das Börsengesetz müsste so geändert werden, dass Nahrungsmittelspekulationen unmöglich werden. Das könnte die Politik morgen verbieten. Aber das widerspricht der neoliberalen Wahnidee, wonach Märkte möglichst unreguliert sein sollten. Gefragt sind die Politiker und letztlich jeder einzelne Mensch. In seinem aktuellen Buch ruft Jean Ziegler dazu auf, gegen die Diktatur und absurde Ordnung des globalisierten Finanzkapitals aufzutreten. Jeder Einzelne kann dazu beitragen: Ändern wir die Welt.
Buchtipp: Jean Ziegler: Ändere die Welt!
Bertelsmann Verlag 2015, ISBN: 978-3570-10256-5
Foto: ® Bertelsmann Verlag
Magazin Zoë 04/15