Angst gehört wie Freude, Lust oder Zorn zu den Grundgefühlen des Menschen und ist in ihrer Funktion für das Überleben entscheidend. Sie kann aktivieren und die letzten Kraftreserven aus einem Menschen herausholen, um Flucht oder den Überlebenskampf zu ermöglichen. Angst kann aber auch lähmen oder in Starre verfallen lassen – und Angst ist ziemlich ansteckend. Das macht sie auch zu einem machtvollen Werkzeug, um Menschen zu manipulieren. Aber auch bei Panikattacken & Phobien gibt es Wege aus der Angst.

Von jeher wurden angstmachende Mechanismen in herrschenden Klassen, der Politik sowie auch in der Wirtschaft benutzt, um Menschen gefügiger zu machen. Negativbotschaften sind machtvoll und schüren schon vorhandene Unsicherheiten. Zudem ist Angst ziemlich ansteckend – Lachen zum Glück auch. Angst lässt sich jedoch tatsächlich besiegen. Allerdings erst, indem man sich ihr stellt und ihr ins Auge schaut. Auch wenn es anfänglich vielleicht ein bisschen Mut erfordert, es wartet am Ende des Tages ein wertvolles Geschenk: ein selbstwirksames, angstfreies Leben im Einklang mit sich selbst.

Angst als gesellschaftliches Phänomen

Angst ist ein gesellschaftliches Phänomen unserer Zeit geworden. Egal ob Zukunfts-, Existenz-, Versagens-, Verlust- oder Weltuntergangsängste – die moderne Zivilisation kämpft nicht mehr mit Bären und Wölfen, sondern mit Bedrohungen, die anscheinend von überall her kommen und immer mehr werden. Es hat weltweit den Anschein, dass wichtige Entscheidungen immer mehr aus einer Angst heraus getroffen werden. Aber Angst ist kein guter Berater. Der Teufelskreis der Angst findet im Großen ebenso wie im Kleinen statt. Wenn auch das eine das andere bedingt, der Angstkreis kann in erster Linie nur bei jedem Einzelnen durchbrochen werden. Die effektivste Methode ist, sich seinen Ängsten zu stellen. Dazu muss man sie aber erst einmal erkennen.

Angst ist nämlich auf drei Reaktionsebenen wirksam. Diese beeinflussen sich gegenseitig und stellen dadurch einen Teufelskreis dar, aus dem es auszubrechen gilt. „Zuerst gibt es das Angsterlebnis als Auslöser für die Angst. Sie wird auf der subjektiven Ebene wahrnehmbar und die Gefühle und Gedanken werden beeinflusst. Die Gedanken und Gefühle wirken sich in weiterer Folge auf die Verhaltensebene aus – z.B. psychische Lähmung oder (Schreck-)Starre erzeugt auch wieder körperliche Veränderungen bis hin zu körperlichen Symptomen, wie Verspannungen oder Kopfschmerzen – was sich dann wiederum auf die Gefühlsebene auswirkt. „Je nachdem entwickeln Betroffene immer Kampf- oder Fluchtverhalten sowie mehr oder minder gute, adaptive Bewältigungs- und Vermeidungsstrategien, um damit umgehen zu können“, erklärt Psychologin Dr. Andrea Egger beim Ärztekongress 2017 in Velden.

Ab wann ist Angst krankhaft?

„Angst ist wichtig. Sie ist eine gesunde Reaktion auf eine akute, bedrohliche Situation und kann Leben retten. Jedoch führt übermäßige, übertriebene Angst auch dazu, dass man sein Leben überhaupt nicht mehr im Griff hat“, so Andrea Egger. Wenn Ängste ohne konkreten Anlass auftreten oder sie gar zum ständigen Begleiter, zum alles überschattenden Gefühl werden, ist Angst keine normale Reaktion, sondern hier hat sie hat einen eigenständigen Krankheitswert. Bei manchen Betroffenen steht das Gefühl der Angst so stark im Vordergrund, dass ihre Lebensqualität stark eingeschränkt wird. „Unangemessene, übertriebene Angst hemmt die persönliche Entwicklung und wirkt sich auch körperlich negativ aus“, so die Expertin.

Das zusätzliche Problem: Symptome wie Verspannungen, Kopfschmerzen, Herzrasen, Schlafstörungen oder Schwindel werden von den Betroffenen und meist auch von Ärzten nicht mit Angststörungen in Zusammenhang gebracht. Die Leidgeplagten pilgern dann von einem Facharzt zum anderen, bis sie vielleicht dann doch einmal beim Psychologen landen. „Eine Abklärung der Symptome auf körperlicher Ebene ist natürlich sinnvoll und notwendig, aber es sollte immer auch an die Möglichkeit einer Angsstörung gedacht werden“, so die Psychologin.

Warum die Angst?

Die Ängstlichkeit eines Menschen ist durch die psychische Konstitution und das angeborene Temperament gewissermaßen vorgegeben. Aber eine Angststörung bzw. eine erhöhte Angstbereitschaft entsteht meist durch die Erfahrungen, die Menschen im Laufe ihres Lebens machen, insbesondere in der frühen Kindheit und in der Pubertät. In dieser Phase der Sozialisation orientieren sich Kinder und Jugendliche an der Gesellschaft, suchen ihren Platz darin und übernehmen vorgegebene Verhaltensweisen. Vorgelebte Lebensmodelle von Erziehungspersonen spielen daher eine große Rolle.

„Es geht um die Sozialisierung, um die Entwicklungsmaßnahmen in der Kindheit“, erläutert Andrea Egger. Folgende Fragen sorgen für ein klareres Persönlichkeitsbild und zeigen die eigene Grundstimmung auf: Wie bin ich aufgewachsen? Welche Modelle hatte ich vor mir? Was konnte ich erlernen? Welche Erfahrungen habe ich als Mensch gemacht? Waren sie hauptsächlich positiver oder negativer Natur? Daher sollten diese Fragen in Zusammenhang mit vorhandenen Ängsten immer gestellt werden.

Die Grundformen der Angst

„Ängste prägen unseren Charakter“, wusste schon der deutsche Psychoanalytiker und Buchautor Fritz Riemann (1902 – 1979). Er unterteilte schon damals die Ängste unter anderem in vier Angsttypen, die bis heute passend sind.

•• Der „depressive Typ“ und die Angst vor Stärke: Diese Menschen haben Angst vor Selbstentfaltung. Sie denken, nicht mehr geliebt zu werden, wenn sie stärker und erfolgreicher sind als andere. Sie versuchen es allen recht zu machen und entfernen sich damit von sich selbst und den eigenen Befürnissen sehr weit. Das Gefühl ist, alle anderen sind wichtig, aber selbst ist man nicht liebenswert. „Der depressive Typ ist ein Helfertyp, der alles tut, um geliebt zu werden“, schildert Andrea Egger. „Es besteht eine Kluft zwischen Ich und Du und daher gelingt ihm auch keine Abgrenzung. Er ist beziehungsorientiert und weniger sachorientiert.“

•• Der „schizoide Typ“ und die Angst vor der Hingabe: Der Gegentyp zum depressiven Angsttypen ist eine Persönlichkeit mit schizoider Struktur. Hierbei ist nicht die krankhafte Schizophrenie gemeint ist, sondern eine Art der emotionalen „Abspaltung“, weil schizoide Menschen tendenziell ihre Gefühle abspalten. „Dieser Typ stammt eher aus Familien, in denen Gefühle nicht gezeigt werden“, verdeutlicht Andrea Egger. „Es ist daher verständlich, dass vor allem die Sozialisierung eine wesentliche Rolle in der Angstentstehung spielt. Diese Personen sind sachlich orientiert und hochkontrolliert. Sie sind keine wirklichen Menschenfreunde und kommen gut mit sich alleine zurecht. Sie misstrauen anderen. Abhängig von anderen zu sein bedeutet für sie, sich selbst aufzugeben. Sie wirken verschlossen und wenig empathisch.“

•• Der „zwanghafte Typ“ und die Angst vor Veränderung: Hier wird versucht, jeden Zufall ausschalten. Das Sicherheitsbedürfnis ist überproportional hoch, Existenzängste plagen diese Menschen. „Am liebsten haben diese Menschen, dass alles so bleibt, wie es ist. Dass es zu keinen Veränderungen kommt, um somit auf altbewährte Bewältigungsstrategien zugreifen können, mit denen sie auch gut zurechtkommen“, so Andrea Egger. „Zwanghafte neigen dazu, sich selbst einzuengen und an Regeln unter allen Umständen festzuhalten. Sie neigen zu Dogmatismus und Prinzipienreiterei.“

•• Der „hysterische Typ“ und die Angst vor dem Notwendigen: Dieser Typus hat vor allem Angst vor dem Notwendigen. Alles, was Verpflichtung bedeutet, ist für diese Menschen eine Belastung. Sie haben immer das Gefühl, auf einer Bühne zu stehen, das Gefühl, beobachtet zu werden, und sie versuchen daher auch, in ihren Rollen zu verbleiben. Sie müssen anderen entsprechen und eine Fassade aufrecht erhalten. Somit können viele Situationen schnell zu einer Herausforderung oder gar zu einer Bedrohung zu werden.

Selbsthilfe & -management

Die meisten Menschen bekommen ihre Ängste in den Griff, ab dem Moment, wo sie sich ihnen stellen. Wenn sie sich direkt mit ihrer Angst konfrontieren, gehen sie zumeist gestärkt aus der Situation heraus. Man geht sozusagen direkt in die Angst hinein. So liegen beispielsweise beim „depressiven Angsttypen“ die Entwicklungschancen in seiner Abgrenzung gegenüber seinen Mitmenschen, dem Zulassen von Aggression sowie auch im bewussten Einsatz für die eigenen Belange und Bedürfnisse und schließlich in seiner Selbstentfaltung. Andrea Egger: „Dies erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit der Angst, mit der Angstentstehung und dem daraus resultierendem Teufelskreis der Angst.“

Unterstützend ist es dabei, Ziele zu formulieren (Annäherungsziele statt Vermeidungsziele), sich positiver Ereignisse und Erlebnisse bewusst zu werden (jedem Tag einen positiven Titel geben), bewusst Schönes und Freudvolles genießen, sich ein soziales Netzwerk schaffen oder dreimal pro Woche Ausdauersport zu machen. Da wie immer alles leichter gesagt ist als getan, ist es vor allem bei sehr tief liegenden Angststörungen empfehlenswert, sich auch professionelle Hilfe zu holen.

 

 

GESICHTER DER ANGST

Panikattacken: Panikattacken treten spontan auf, meist nach starker Belastung. Mit jeder Attacke verstärkt sich die Angst.

Agoraphobie: Die Agoraphobie oder Platzangst ist komplex und schwerwiegend. Es besteht eine starke und übertriebene Angst vor Orten oder Menschenmengen.

Spezifische, isolierte Phobie: Bei dieser weitverbreiteten Phobie handelt sich um Furcht vor bestimmten Dingen, Situationen oder Handlungen (vor Hunden, Schlangen, Spinnen, Mäusen, Blitz, Donner, Feuer, Injektionen).

Soziale Phobie: Die Betroffenen fürchten, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich oder unpassend zu verhalten und demnach negativ beurteilt zu werden.

Die generalisierte Angst: Diese Angst ist eine beständig lang anhaltende, unangemessene Angst vor neutralen Alltagssituationen.

Zwangsstörungen: Diese Störungen sind durch Zwangsgedanken und -handlungen gekennzeichnet. Sie drängen sich permanent auf. Man ist
nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen.

Posttraumatische Belastungsstörung:
Diese Störungen können durch außergewöhnliche Lebensereignisse
bzw. Schreckensereignisse auftreten. Der „Alptraum“ wird immer wieder in Form von Flashbacks durchlebt.

Vorheriger ArtikelFilm: Die grüne Lüge
Nächster ArtikelZusammenleben: Das neue Miteinander