Zusammenleben: Das neue Miteinander

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Das Leben im klassischen Einfamilienhaus am Land oder im anonymen Zinshaus in der  Großstadt wird langsam zu einem überholten Modell. Ökodörfer am Land, Micro-Dorf-Feeling in der Stadt, gemeinschaftlich genutzte Gärten und Räume, Alters-WGs, Mehrgenerationen-Häuser oder die Idee des geteilten Cohousing, so lauten die neuen Idealvorstellungen des Zusammenlebens. Denn obwohl der Wunsch nach Individualität und Selbstverwirklichung wächst, entstehen gerade dadurch wiederum viele neue, lebensbereichernde Gemeinschaften, Szenen, Kulturen, Arbeitsformen, Familien- und Lebensmodelle jenseits alter Konventionen.

Das neue Lebensmotto ist schlicht und einfach: „Tun wir uns zusammen“. Es drückt ein Urbedürfnis des Menschen aus und so gewinnt die Wahlfamilie mit Gleichgesinnten immer mehr an Bedeutung: gesellschafts-, kultur- und generationenübergreifend. Es existieren weltweit bereits zahlreiche Vorzeigeprojekte, in denen Menschen ihrer Idealvorstellung entsprechend leben. Auch in Österreich tut sich diesbezüglich viel. Hier ein Überblick über verschiedene Trends und kreative Möglichkeiten als Inspiration für die eigene Lebensgestaltung.

Die Individualisierung der Gesellschaft und die unterschiedlichen Lebensideen führen dazu, dass sich die Lebensbedürfnisse einzelner Bevölkerungsgruppen immer stärker voneinander unterscheiden. Das bisherige Wohnangebot wird den vielfältigen Anforderungen kaum mehr gerecht. Zwar wächst immer noch die Zahl der Single-Haushalte in West- und vor allem Nordeuropa. Freiheit, Individualität und auch die finanziellen Möglichkeiten tragen aber dazu bei. Schweden hat etwa europaweit mit über 50 Prozent die meisten Single-Haushalte, in Österreich lebt auch jeder Dritte alleine – vor allem in der Großstadt. Allerdings ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen. Daher ist das menschliche Urbedürfnis eher „gemeinsam statt einsam.“ Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sowohl in der Stadt als auch auf dem Land vermehrt neue, ganz unterschiedliche Formen eines neuen Miteinanders die Gesellschaft und das Zusammenleben prägen.

Multifunktionale Lebensweise

Zudem wandelt sich der Anspruch an das eigene Zuhause, den Arbeitsort und den öffentlichen Raum. Kaum etwas bestimmt unser Leben so sehr, wie die Räume, die uns umgeben, das fördert ein zukünftiges Zusammenleben in der Multifunktion: Anstatt im anonymen Mehrfamilienhaus mit Fremden zu leben, baut man das Haus gemeinsam mit der selbst ausgesuchten Wahlfamilie. Dadurch entstehen neue Wohnkomplexe. Diese werden zu einem Lebensraum, der einer großen Vielfalt an Lebensstilen ein Dach über dem Kopf bietet – ein ,Mikro-Dorf-Gefühl‘ in der Großstadt innerhalb des Wohnhauses entsteht. Das verändert die Form und Funktionalität von Städten, Wohnräumen und Arbeitsplätzen. Städte bekommen ländliche Strukturen. Öffentliche Flächen werden gemeinschaftlicher genutzt, Multifunktionalität wird großgeschrieben.

Dazu kommt, dass ältere Menschen, aber auch Eltern mit Kindern, Menschen, die die Isolation satt haben, oder Menschen unterschiedlicher Kulturen sich nach netten Nachbarn bzw. Mitbewohnern sehnen. Für manche Menschen spielen Nachbarschaftshilfe, Betreuung und Service eine wichtige Rolle. Für die eine Gruppe ist dies zusätzlicher Luxus oder Komfort und für hilfsbedürftige Menschen unabdingbare Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Demnach wird das sogenannte Cohousing – eine Siedlung, die durch eine geplante Gemeinschaft, z.B. aus privaten Wohnungen oder Häusern, besteht und die durch umfangreiche Gemeinschaftseinrichtungen ergänzt wird – immer mehr zur Norm.

Auroville – eine Stadt der Seligen

Die Ansätze für eine Lebensgestaltung außerhalb des vorgegebenen Systems lässt sich bis in die 1970er-Jahre zurückverfolgen. Eine der ersten auf diesem Gebiet, war die Auroville-Gründerin Mirra Alfassa. Sie verwirklichte im Südosten Indiens schon 1968 ihren Wunsch: „Irgendwo auf der Erde sollte es einen Ort geben, den keine Nation als ihr alleiniges Eigentum beanspruchen kann. Einen Ort, in dem alle Menschen mit gutem Willen und aufrichtigem Streben frei als Weltbürger leben können.“ Auroville ist nach wie vor das Vorzeige-Gemeinschaftsprojekt schlechthin: Eine Stadt frei von religiösen, politischen und hierarchischen Barrieren. Derzeit leben dort über 2.000 Architekten, Umweltaktivisten und Aussteiger aus 45 Ländern. Gemeinsam wollen sie anders leben, alternativ, ökologisch. Dies gelingt ihnen noch immer – auch in Zeiten voller Krisen, Kriege und Korruption. Infos: auroville.org

 

Tamera – Zentrum für Friedensforschung

Im Süden Portugals liegt das Friedensforschungsdorf Tamera. Gegründet wurde es 1995 von dem Soziologen und Psychoanalytiker Dieter Duhm, der Theologin Sabine Lichtenfels und dem Physiker und Musiker Rainer Ehrenpreis. Im Zentrum des Projekts stand von Anfang an die Frage, wie Menschen aller Kulturen und Religionen so zusammenleben können, dass zwischen ihnen Frieden besteht. Es entstand ein Modelldorf, in dem gewaltfreies Zusammenleben zwischen Menschen, Natur und Tieren praktiziert wird. Derzeit leben etwa 170 Menschen aus verschiedensten Kulturen in Tamera zusammen. Das Dorf ist durch ein eigenes Solar-Projekt energieautark. Eine Forschungsinitiative für erneuerbare Energien ist ebenfalls integriert. Die Wasserretentionslandschaft als Mittel gegen Wüstenbildung wurde nach einem Entwurf von Sepp Holzer realisiert. Infos: tamera.org

 

Findhorn – bewusst leben

Im Norden Schottlands, in Findhorn, leben seit 1962 etwa 300 Menschen dauerhaft ökologisch, nachhaltig, autark und bewusst. „The Park“ heißt das Zentrum der Findhorn Foundation. 90 ökologische Gebäude, das Findhorn College oder die erste lebende Maschine, eine Pflanzenkläranlage für das gesamte Abwasser des Dorfes, sowie dorfeigene Windturbinen sind hier zu finden. Das Dorf lockt jährlich zahlreiche Besucher an, die sich die Realisierung eines solchen Projektes vor Ort ansehen möchten. Infos: Findhorn

 

Gemeinsam aus Überzeugung

In Österreich ist mit der Sargfabrik in Wien vor rund 20 Jahren eines der ersten alternativen, innovativen Wohnprojekte verwirklicht worden. Die Vision eines offenen und selbstdefinierten Zusammenlebens in der ehemaligen Fabrik wurde Realität. Die pulsierende urbane Wohnalternative beherbergt einen Veranstaltungssaal, einen Seminarraum, ein Badehaus sowie Restaurant, Spielplatz, Gemeinschaftshöfe, wunderschöne Dachgärten und ein Kinderhaus.

In Linz beginnt‘s

Inzwischen sind aber auch europ­aweit sowohl in den Städten als auch auf dem Land zahlreiche gemeinschaftliche Wohnprojekte entstanden. Die Bewohner wollen gemeinschaftlich, selbstorganisiert, individuell, repräsentativ und auch leistbar leben. Daraus entstanden je nach Wünschen und Bedürfnissen zwei Gruppierungen des gemeinsamen Wohnens: Entweder es finden sich Gleichgesinnte oder es handelt sich um sozial gemischte und integrierte Projekte. So hat z.B. das Kollektiv habiTAT in Linz den Kampf gegen Immobilienspekulation und steigende Wohnkosten mit kreativen Mitteln selbst in die Hand genommen.

Mithilfe von über 180 Unterstützern, einer ausgetüftelten Rechtsstruktur und einem innovativen Finanzierungsmodells konnte ein Haus in Linz gekauft werden. Durch eine Verschachtelung von Vereinen und GmbHs wird sichergestellt, dass das Objekt nicht wieder verkauft werden kann. Der Marktwert des Hauses wird dadurch neutralisiert und der Mietpreis eingefroren. Gleichzeitig stellt das Modell sicher, dass die Mieter des Hauses ihren Wohnraum selbstverwaltet an ihre Bedürfnisse anpassen können. Über 30 Menschen leben mittlerweile dort und verwalten und gestalten die verfügbaren 1.650m² selbstbestimmt.

 

Trend zum Ökodorf

Zu diesen Modellen des „Gemeinschaftslebens“ gesellen sich in den letzten Jahren verstärkt Projekte, die durch ihre Bautypologie oder spezifische Zielsetzungen (Ökologie, Nachhaltigkeit, Autarkie) in den Fokus besonderen Wohnens rücken. Dabei geht es um eine bewusst und durch partizipative Prozesse gestaltete Gemeinschaft, die durch lokale Besitzstrukturen geprägt ist und zur Wiederherstellung der sozialen und natürlichen Umwelt beiträgt. In den ganzheitlichen Ansatz sind die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit integriert – Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kulturelles. Nicht ganz klar ist, wie viele Ökodorf-Projekte es weltweit gibt. Die Schätzungen reichen von 2.500 bis 20.000. Einige österreichische Bespiele sind im Kasten auf Seite 19 angeführt.

Gemeinsam statt einsam

Ein anderes Phänomen unserer Zeit ist, dass Menschen immer älter werden und dabei jedoch geistig und körperlich jünger bleiben. So wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 von aktuell 7,4 Milliarden auf beinahe 10 Milliarden zunehmen. Im gleichen Zeitraum steigt die Zahl der über 60-Jährigen von weltweit derzeit rund 900 Millionen auf über zwei Milliarden – ein Wachstum um weit mehr als das Doppelte. Neue Ideen und Konzepte im Bereich des Wohnens sind daher unumgänglich und werden neue Formen des Zusammenlebens schaffen, von denen letztlich alle Altersgruppen profitieren. Denn die Generation der immer jünger werdenden Alten will nicht mehr ins Altersheim abgeschoben werden. Ihr erklärtes Ziel ist, so lange wie möglich selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu leben. Dazu gibt es bereits etliche kreative Lösungen.

Generationen im Wandel

So nahmen zum Beispiel elf betagte, jedoch rüstige Damen ihr Leben selbst in die Hand und gründeten das Wohnprojekt OLGA in Nürnberg. Die Bezeichnung OLGA steht für „Oldies leben gemeinsam aktiv“. Bei diesem Konzept leben zwar alle Teilnehmer in der eigenen Wohnung, aber dennoch unterstützten sie sich gegenseitig. Es ist anzunehmen, dass die Damen auch mehr Spaß und Freude dabei haben. Infos: wohnprojekt-olga.de

Eine gelungene sowie generationenübergreifende Lösung bietet auch eine Alters-WG in Wien-Meidling. Hier leben Senioren gemeinsam mit Studenten, Berufstätigen und Flüchtlingen unter einem Dach. Ziel war es, einen Lebensraum zu schaffen, in dem jüngere und ältere Menschen gemeinsam leben, einander ergänzen und unterstützen. Der Austausch zwischen den jüngeren und älteren Bewohnern passiert dabei auf verschiedenen Ebenen. Hilfe bei der Hausarbeit, beim Einkaufen oder beim Deutschlernen stehen ebenso auf dem Plan wie gemeinsame Aktivitäten. Wobei es jedem Bewohner überlassen wird, ob er mit älteren Bewohnern Zeit verbringt oder ihnen bei etwas hilft. Studenten bezahlen ihren Wohnraum mit Arbeit. Ein Quadratmeter Wohnraum ist eine Stunde Arbeit pro Monat.

Lebensbereicherung für Jung & Alt

Seien es Alters-WGs oder generationenübergreifende WGs, in denen „Wohnen für Hilfe“ für Studenten günstiger wird – all diese Modelle stellen für alle Beteiligten eine Bereicherung dar. Denn im Gegenzug zu ihrem vermieteten Zimmer leben Pensionisten nicht mehr allein und abgeschirmt und profitieren von ihrem Mitbewohner z.B. als Einkaufshilfe. Vorheriges gutes Kennenlernen und genaues Absprechen der Dienstleistung im Austausch zur Wohnleistung sind Voraussetzung. Auch hier gibt es bereits Hilfestellung. Die WGE! ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Wien. Sie vermittelt und begleitet Wohngemeinschaften, die vom Miteinander unterschiedlicher Generationen geprägt sind.
Alles Infos sowie auch Vermittlung auf: wge-wien.org

Auch die „Initiative der Grünen Generation plus“ und des Vereins zur Förderung der Lebensqualität haben eine Webseite ins Leben gerufen, wo sämtliche gemeinschafltiche Wohnprojekte für alle Generationen vorgestellt werden oder Mitbewohner gesucht werden.
Infos: gemeinsamwohnen.at

 

WEITERE ALTERNATIVEN ZUM ZUSAMMENLEBEN IN ÖSTERREICH

Der Lebensraum: Der Lebensraum ist ein 2005 fertiggestelltes Wohnprojekt in Gänserndorf, Niederösterreich. Die erste Cohousing-Siedlung Österreichs verbindet ökologisches Wohnen im Grünen mit gelebter Nachbarschaft. Das Leben in eigener Privatsphäre wird kombiniert mit den Vorzügen einer Gemeinschaft. Niedrigenergie-Wohnungen in verschiedenen Größen mit Eigengärten und Terrasse werden ergänzt durch Gemeinschaftseinrichtungen, die von den Bewohnern vielfältig genützt werden.
derlebensraum.com

Projekt LebensGut: In der Obersteiermark angesiedelt ist das Gemeinschaftswohnprojekt LebensGut. Ziel ist es, einen Ort und eine Gemeinschaft zu schaffen, in der Menschen aller Generationen wieder freudvoll und sinnstiftend gemeinsam und ökologisch nachhaltig leben. Wohnen und Arbeiten an einem Ort ist ein weiterer Grundbaustein. Die Wohnungsflächen sind verhältnismäßig klein, um den ökologischen Fußabdruck der Bewohner zu verkleinern, umso größer sind die Gemeinschaftsräume, die Großküche oder die Waschküche. lebensgutmiteinander.com

B.R.O.T.-Hernals: Das B.R.O.T.-Haus gehört zu den ersten Projekten intergenerativen Wohnens von Familien und Alleinlebenden in Österreich. Die Buchstaben B.R.O.T. stehen für Beten, Reden, Offensein und Teilen. Im Jahre 1987 stellte die Pfarre Kalvarienbergkirche dem neu gegründeten Verein ein Grundstück zur Verfügung. Bis 1990 wurde ein Wohnheim als Mitbestimmungsprojekt mit vielen Gemeinschaftseinrichtungen und üppig begrünten Balkonen und Terrassen errichtet.
brot-hernals.at

Cohousing Pomali: Seit 2009 gibt es in Wölbing, Niederösterreich, das Projekt Cohousing Pomali. Der generationenübergreifende Aspekt ist ein zentraler Bestandteil der Gemeinschaft. Den Bewohnern geht es bei diesem sozial-innovativen Projekt darum, voneinander zu lernen und miteinander zu wachsen, um so eine tragfähige Gemeinschaft zu entwickeln, die neue Wege in den Bereichen Soziales, Ökologie und Wirtschaft beschreitet. Derzeit leben dort rund 50 Erwachsene und 29 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 74 Jahren. Es gibt Familien mit einem oder mehreren Kindern, Alleinerziehende, Singles, Paare ohne Kinder und Eltern von erwachsenen Kindern. pomali.at

Verein Mauerseglerei: Der Verein Mauerseglerei hat in Mauer bei Wien ein gemeinschaftliches Wohnprojekt umgesetzt. Die bunte Gemeinschaft von Familien mit kleineren und größeren Kindern, Paaren ohne Kinder, jüngeren und älteren Singles möchte das gemeinsame Leben nicht nur träumen, sondern lebenswert umsetzen. Ökologie, Solidarität, aber auch Spiritualität sind Grundpfeiler der Philosophie. projekt-gennesaret.wixsite.com

Öko-Dorf Murau: Der Verein Dahoam will im Bezirk Murau ein Öko-Dorf errichten. Es soll mitten im Bezirk Murau von den Bewohnern nachhaltig und gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Der Verein startete 2015 mit dem Projekt Murtopia und möchte im Bezirk Murau zukunftsfähige Lebensmodelle vorleben: nachhaltig, regional und verbunden. murtopia.at

 

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