Es gibt viele Möglichkeiten, Menschen kennen zu lernen, sich mit Freunden zu treffen, eine Fremdsprache zu lernen bzw. die eigene Muttersprache im Ausland zu sprechen, neue Herausforderungen zu suchen oder seinen Kindertraum auszuleben. Die kreativste davon ist, Theater zu machen. Bei der spanischen Theatergruppe „Los Soles del Sur“ findet man alles in einem: Begeisterung, 
Leidenschaft, Spanischkurs, Familie, Psychotherapie und vor allem Spaß.

Alles begann mit einer Spanierin, die nach Wien kam. Susana Rodríguez hatte in Madrid schon in einem Amateurtheater gespielt und vermisste es hier. Nachdem es keine spanische Theatergruppe in Wien gab, beschloss sie, selbst eine zu gründen, und war total erstaunt, wie viele Menschen zum ersten Treffen gekommen waren. Noch dazu, wo es nicht nur Landsleute, sondern spanisch sprechende Menschen aus aller Welt waren. Die meisten kamen aus Neugierde und ohne irgendeine Art Bühnenerfahrung. Einige hatten während der Schulzeit ein bisschen Theater gespielt, andere schon Erfahrungen in einem Amateurtheater gesammelt. Das war der Beginn von „Los Soles del Sur“ Ende 2011.

Gruppendynamik

Vom ersten Augenblick an verstanden sich die Leute ausgesprochen gut und man ging es zuerst mal vorsichtig an. In Form von mehreren kurzen Stücken mit kleineren Rollen, die jeweils auf den Leib geschrieben waren. Mittlerweile gibt es die Gruppe bereits das vierte Jahr und Susana Rodríguez ist selbst nicht mehr dabei.

Aitana Vivó Cordón, die Susana bei der Regiearbeit immer wieder unterstützt hatte, übernahm kurzerhand die neue Herausforderung. Aufgewachsen in Wien und Spanien, hatte sie während ihrer Schulzeit im Wiener Lycée Français bereits Theater gespielt. „Ich habe in Valencia drei Jahre lang Schauspielkunst in einem Privatinstitut neben meiner Arbeit als Kinder-erzieherin studiert. Das war das, was ich tatsächlich machen wollte, aber leider war es recht brotlos. Mir war es aber trotzdem wichtig, die Schauspielausbildung zu machen.“

Zur Frage, was sie am Theater so fasziniert, kommt zum Leuchten in den Augen ein begeistertes „Alles! Schon alleine, dass ich 1.000 Leben erleben und daraus lernen kann! Das vermittle ich auch ständig der Gruppe – man kann immer und überall lernen. Ich beobachte Leute in der U-Bahn, wie sie sich bewegen oder sprechen. Ich höre bei absurden Gesprächen, wie sie jeden Tag vorkommen, zu und beobachte die jeweilige Situation. Theater spielen erlaubt dir, von den anderen zu lernen und nimmt dir Barrieren und Vorurteile.“

Professionelle Amateure

Aitanas erstes Stück als Regisseurin bei Los Soles del Sur war letztes Jahr ein sehr berührendes Drama, „La Barca sin Pescador“ (Das Fischerboot ohne Fischer), das die Truppe mit Bravour gemeistert hat. Es war eine absolute Leistungssteigerung und kein einfaches Stück.

„Als Regisseurin muss ich sagen, die Gruppe hat ein echt gutes Niveau. Amateurtheater wird oft als zweitklassig angesehen, das ist unfair. Viele können aus verschiedenen Gründen nicht hauptberuflich Theater spielen, aber wir machen das mit unserer ganzen Intensität und ich bin sehr stolz darauf. Amateur zu sein heißt nicht, unprofessionell zu sein, sondern es nur auf eine andere Art zu präsentieren. Wir sind voll enthusiastisch und haben viel Freude dabei, weil wir unsere Stücke selber und vor allem alle zusammen aussuchen. Ein professioneller Schauspieler bekommt ein Stück und eine Rolle beim Casting und macht, was er einbringen kann. Bei uns ist es ein Projekt von allen und von jedem Einzelnen.“

Fulltime-Hobby

Zudem benötigt die Theatergruppe viel mehr Einsatz, als „nur“ die eigene Rolle zu lernen. Vom Kostüm über die Werbung bis zum Sponsoring bedarf es der Mithilfe von allen. Viel Zeit, Energie und Einsatz ist erforderlich sowie die Unterstützung und das Verständnis der jeweiligen Partner. Speziell kurz vor der Aufführung wird intensiv bis tief in die Nacht oft in den Wohnungen geprobt, obwohl die meisten einen Job und zusätzlich Familie haben.

Was im Gespräch mit allen unisono herauskommt, ist die Einheit und Zugehörigkeit in der Gruppe. Das Miteinander, das Lernen voneinander, das Eingehen aufeinander. Für alle ist es eine Bereicherung in ihrem Leben, weil sie mehr Lebensfreude und Energie daraus gewonnen haben. Sie haben innige Freundschaften geschlossen und eine Art Wahlfamilie gefunden, sind persönlich gewachsen und haben sehr viel für sich, über sich und über andere gelernt: „Eine andere Person sein zu können, in diese hineinzuschlüpfen und sich damit auseinanderzusetzen, wie sie denkt, bringt persönlich viel, es erweitert den eigenen Horizont.“

Auch Pärchen, die gemeinsam in der Amateurgruppe spielen, konnten sich auf eine neue Art erfahren und begegnen. Hier kommt noch dazu, dass das multikulturelle Ensemble einen Weg gefunden hat, das die andere Sprache – die oft Menschen voneinander entfernt – sie in diesem Fall zusammenbringt.

Gemeinsam wollen sie sich selbst immer wieder übertreffen, besser werden und weiter lernen. Jetzt stellen sie sich der nächsten großen Herausforderung – der berühmten spanischen Komödie „Los Palomos“ (Die Täuber). Intensiv wird schon an den Rollen und Vorbereitungen für die Aufführungen im Juni gearbeitet, denn das neue Stück muss mindestens genauso gut sein wie das alte – wenn nicht besser. Wir werden sehen!

Infos: solesdelsur.com

Magazin Zoë 01/15

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