Achtsamkeit als Begriff entstammt den asiatischen Strömungen und ist in diesen Kulturen seit mehr als 2.000 Jahren allgegenwärtig. In unserem Kulturkreis finden wir schon über die letzten Jahrtausende hinweg Elemente, die wir heute den Achtsamkeitspraktiken zurechnen. Achtsamkeit kann nicht nur persönlich, sondern auch im Berufsleben viele Vorteile bringen und sogar im Gehirn positive Veränderungen bewirken.

Aus der Sicht der aktuellen neurowissenschaftlichen Forschung bedeutet Achtsamkeit Offenheit für Neues, Wachheit für Unterscheidungen, Sensibilität für verschiedene Kontexte, multiple Perspektiven und Orientierung – kurz gesagt: Persönlichkeitsentwicklung.

Achtsam sein bedeutet, aus einem Leben, das quasi auf Automatik geschalten ist, aufzuwachen und für den Reiz des Neuen in unseren Alltagserfahrungen empfänglich zu werden. So besteht zum Beispiel achtsames Wandern darin, dass wir uns in jedem Moment bewusst sind, was wir tun, während wir es tun. Wir nehmen den Boden unter unseren Füßen wahr, spüren den Luftzug, der vom Berg herunterkommt, oder riechen den Duft der Wälder. Wenn wir wandern und dabei Gedanken hinterherhängen, dann hat es eher mit achtlosem Wandern zu tun – außer es war in der Absicht, während des Wanderns nachzudenken … Wie oft sitzen Menschen in Besprechungen und überlegen dabei, wen sie im Anschluss anrufen, was heute noch zu erledigen ist, oder tippen bereits während der Besprechungen E-Mails.

Wer oder was ist achtsam?

Im Englischen so schön „mindfullness“ genannt, bedeutet Achtsamkeit das bewusste Wahrnehmen und Beobachten von Empfindungen, Gedanken und Gefühlen, ohne diese sofort zu bewerten oder darauf unmittelbar bzw. unangemessen zu reagieren. Es bedeutet, bewusst mit Gefühlen und Empfindungen im Hier und Jetzt zu sein. Eine achtsame „Einstellung“ kann sogar unsere Gehirnwindungen neu programmieren.

Neurowissenschafter Daniel Siegel schreibt dazu in seinem Buch „Das achtsame Gehirn“: „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass achtsam und bewusst zu sein, sich dem Reichtum und der Fülle unserer Erfahrungen im Hier und Jetzt zu widmen, positive Veränderungen in der Physiologie des Gehirns, den Funktionen unseres Geistes und unseren zwischenmenschlichen Beziehungen bewirkt.“ Achtsamkeit verändert unsere neuronalen Verbindungen im Gehirn und somit unsere mentalen Prozesse. Somit können wir Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Emotionsregulation, sogar unsere Fähigkeit, Glück und Mitgefühl zu empfinden, zeitlebens neu erlernen. Neuroplastizität ist der dafür gängige Begriff in der Gehirnforschung.

Reflektiertes Denken

Wir sind mit unserem Gehirn in der Lage, die bereits angelegten inneren Bilder mit den neuen, über die verschiedenen Sinneskanäle ankommenden und im Gehirn erzeugten Aktivitätsmuster zu vergleichen und unsere bisherige Vorstellung von dem zu verändern, was ist. Reflektives Denken ist dafür die Basis. Unter reflektiertem Denken verstehen wir, den berühmten Schritt zurück zu machen, um innezuhalten, um die Folgen verschiedener Handlungen oder Ereignisse zu betrachten. Eine solche Betrachtung hilft uns, neue Entscheidungen zu treffen und uns selbst zu konditionieren. Die aus der Neurowissenschaft bestätigten Resultate sind: Offenheit für Neues, Wachheit für Unterscheidungen, Sensibilität für verschiedene Kontexte, multiple Perspektiven und Orientierung, kurz gesagt: Persönlichkeitsentwicklung.

Zwischen den Zeilen

Somit verbessert Achtsamkeit auch die Kommunikationsfähigkeit von Menschen, da man einerseits Gefühle wahrnimmt und nicht unmittelbar darauf reagiert. Eine achtsame Antwort in kritischen Gesprächssituationen reduziert das Konfliktrisiko und damit die emotionale Belastung. Werden in derartigen Gesprächen Gefühle zum Ausdruck gebracht, erhöht dies das Vertrauen und verstärkt gleichzeitig das gegenseitige Einfühlungsvermögen bzw. die Empathie.

Weniger Annahmen und Missverständnisse reduzieren negative Emotionen und steigern gleichzeitig das Wohlbefinden. Herausforderungen des Berufslebens können durch achtsame Zusammenarbeit auf einer neuen Ebene, nämlich mit der nötigen Distanz, betrachtet und besprochen werden. Das steigert die Qualität der Lösungen, da unterschiedliche Ansichten als Quelle der Entwicklung und nicht als Gefahr betrachtet werden. Gewohnte Denkautobahnen werden verlassen und Regelkreise durchbrochen. Entscheidungen werden nicht länger „nur“ getroffen, sondern von allen Beteiligten mitgetragen und umgesetzt.

Achtsamkeit im Job

Achtsame MitarbeiterInnen sind kreativer, treffen bewusster Entscheidungen und können komplexe Situationen besser einschätzen. Eine stärkere Verantwortungsübernahme durch die MitarbeiterInnen, eine höhere Identifikation mit der beruflichen Aufgabe, eine höhere Zufriedenheit im Job und damit weniger Krankenstände und Fluktuation sind die Folge. Die Summe an achtsamen MitarbeiterInnen ergibt das Achtsamkeitsniveau von Organisationen. Innovation, eine bessere Zusammenarbeit, eine Widerstandskraft gegen Krisen und eine höhere Attraktivität als Arbeitgeber sind mögliche positive Kosequenzen eines achtsamen Unternehmens.

Individuen und Organisationen werden dadurch stark bereichert. Es verändert die Menschen in Unternehmen auf vielfältige Weise und ist damit aktiver Entwickler der Unternehmenskultur. Das macht das Leben persönlich und innerhalb der Organisation spannender, kreativer. Es fördert Resilienz, Gesundheit und steigert das persönliche Wohlbefinden im Hier und Jetzt. Es macht Unternehmen (wirtschaftlich) erfolgreicher, gesünder verbessert die Arbeitgeberattraktivität. Ein hohes Maß an sozialer und emotionaler Kompetenz ist heute ein wesentlicher Faktor von achtsamen Mitarbeitern. Das Fachwissen alleine ist heute nur noch in wenigen Berufsfeldern ausreichend.

Achtsamkeit üben

Suche dir einen ruhigen, ungestörten Platz. Schalte dein Handy ab. Setz dich bequem aufrecht hin. Schließe die Augen und lege deine Hände auf den Bauch. Atme tief ein, sodass sich die Bauchdecke hebt. Spüre, wie der Atem in den Körper hinein- und hinausfließt und sich dabei die Bauchdecke hebt und senkt. Bleib mit deiner ganzen Aufmerksamkeit bei deinem Atem. Wenn deine Gedanken abschweifen, dann lass sie wie Wolken vorbeiziehen und nimm wieder deinen Atemrhythmus wahr. Nach fünf bis zehn Minuten beende die Übung bewusst. Diese Atemübung kann überall und auch im Gehen, mit offenen Augen 😉 gemacht werden. Besonders wirkungsvoll ist sie in der Natur.

Mag. Robert Kaltenbrunner

 

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