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Blue Economy: Schöne blaue Welt

  • Das neue Grün ist Blau. Professor Dr. Michael Braungart geht es im Sinne der Blue Economy um Schönheit und um Qualität in dieser Welt. Er geht von einem positiven Menschenbild aus und davon, dass es schön ist, dass es Menschen gibt. Dass die Menschheit leben kann, ohne sich schuldig zu fühlen aufgrund ihrer Existenz. Der Wissenschaftler schlägt vor, dass jeder Einzelne sich fragen kann, wie eine nachhaltige Zukunft aussehen soll.

    Sich fragen kann, wie 40 Jahre Weltuntergangsdiskussion in Innovation und Qualität umgesetzt werden können. „Denn wir können die Dinge gestalten und nicht nur Opfer sein, von denen, die sie erfinden“, so der engagierte Chemiker und  Verfahrenstechniker beim Future Day 2015 in Wien – und er weiß, wovon er spricht. Er hat in Zusammenarbeit mit William McDonough im Sinne der neuen „blue economy“ die Cradle-to-Cradle-Methode erfunden.

    Dabei werden Produkte in Verbrauchs- und Gebrauchsgüter eingeteilt, in biologische und technische Kreisläufe. Verschleißartikel werden biologisch kompostierbar erzeugt, damit sie – für den Menschen und dieNatur unschädlich – genutzt wieder in die Biosphäre zurückgelangen. Gebrauchsartikel gehen nach dem Gebrauch in die Technosphäre zurück.

    Es gibt keine Abfälle, nur Rohstoffe, die nie entsorgt werden müssen, weil sie für einen weltweiten Produktionszweck einsetzbar sind. Statt Verzicht auf Müll ist das Ziel sinnvolle Verschwendung. Reine Qualität statt giftige Billigproduktion – das ist auch die einzige Chance, wie sich Europa gegen Billigmärkte in Zukunft wirtschaftlich behaupten kann und wie Menschen in Fülle leben können – nach dem Vorbild der Natur.

    Perfekt falsch

    „Das Falsche perfekt zu machen ist perfekt falsch“, mahnt Prof. Dr. Michael Braungart bei seinem Vortrag am Futureday in Wien immer wieder und bringt zum Thema Müllvermeidung einen drastischen Vergleich: „Es ist so, wie wenn man sagt: ‚Dann schlage ich jemanden nur noch fünf statt zehn Mal an Tag‘.“

    Eine ökologische Lösung kann seines Erachtens nur darin liegen, gleich von Anfang an intelligent zu produzieren, und seine Argumente sind mehr als überzeugend. „Wir bringen heute mehr Schildkröten, Wale und Robben durch Plastik um als durch irgendetwas sonst. In einem Vogelmagen haben wir bis zu 600 Stück kleine Plastikteilchen gefunden – kann ich da mit einer Reduktion um zehn Prozent irgendetwas bewirken? Das wird in China in Sekunden ausgeglichen“, verdeutlicht Michael Braungart.

    Beispiele gibt es genug

    Und Beispiele hat er noch genug auf Lager: „Allein in Kinderspielsachen wurden 600 giftige Stoffe entdeckt. Ob Holzspielsachen oder Plastikzeug – es ist nicht für Kinder gemacht. Es ist so gemacht, dass es billig ist. Ein anderes Beispiel ist Toilettenpapier. Ein Kilo Recycling-Toilettenpapier ent hält so viel Kohlenwasserstoff, dass 30 Millionen Liter Wasser über den Grenzwert belastet werden. Nichts in dem Papier, weder die Aufheller noch die Hilfsstoffe, wurden jemals für biologische Kreisläufe gemacht. Und wenn man heute einen Park- oder Kassenzettel angreift, nimmt man so viel Schadstoffe auf, dass diese in der Muttermilch direkt nachweisbar sind. Autoreifen werden mittlerweile mit mehr als 500 Chemikalien hergestellt.

    Früher lag der Gummi auf der Straße, das war schon dumm genug, aber durch die ,tolle Verbesserung‘ wird er jetzt eingeatmet. Wir verlieren durch Feinstaub drei bis fünf Jahre Lebenserwartung im Durchschnitt in Österreich und das ist viel mehr als durch Alkohol. Die Latexallergie kommt auch nicht durch Kondome, sondern durch das Einatmen von Latex. Wir brauchen also unschädliche Verbrauchsgüter, die vollständig biologisch abgebaut werden können, und Gebrauchsgüter, die sich sinnvoll recyceln lassen. Wir müssen nicht weniger produzieren, sondern verschwenderisch und in technisch und biologischen Kreisläufen denken – mit der Natur als Vorbild. “

    Alles ist nützlich – es gibt keinen Müll

    Die Zukunft der Ökologie ist blau statt grün. Bei der neuen Denkweise der „blue economy“ gibt es weder Abfälle noch Gifte, sondern nur Rohstoffe. In diesem Sinne hat Michael Braungart in Zusammenarbeit mit William McDonough die Cradle-to-CradleMethode (C2C) entwickelt, die eine ökologisch-industrielle Revolution darstellt.

    Bei der Cradle-to-CradleMethode (von der Wiege in die Wiege) werden alle Produkte, die beim Gebrauch verschleißen, ob Bremsbeläge, Kleidung, Sitzflächen, Schuhsohlen oder Waschmittel, für den biologischen Kreislauf gemacht, sodass sie wieder in die Biosphäre zurückgelangen. Alle Gebrauchsgegenstände wie z.B. Waschmaschinen oder Fernseher werden endlos im technischen Kreislauf genutzt und bleiben in ihrer Technosphäre.

    Europas Chance: Mieten statt kaufen

    Was den technischen Kreislauf betrifft, sieht Michael Braungart außerdem einen nötigen völligen Wandel im Konsumdenken. Waren werden nicht mehr gekauft, sondern gemietet. Die Zukunft des Handels liegt in der Dienstleistung, Wenn die Produkte ausgedient haben, gehen sie an den Hersteller zurück, der das Produkt in seine Einzelteile zerlegt und wieder intelligent einsetzt. Immerhin sind allein in einem Fernsehgerät zahlreiche Einzelteile und 4.316 Chemikalien wieder zu verwenden.

    „Der Konsument braucht nicht die einzelnen Teile eines Fernsehers oder einer Waschmaschine – er braucht nur deren Nutzung. Derzeit hat er aber einen Haufen Sondermüll am Hals“, bringt es Michael Braungart auf den Punkt. Im Grunde betrifft das so ziemlich alle Branchen. Denn auch Fenster oder Bürosessel können gemietet statt gekauft werden.

    „Energiespar-Fenster können zum Beispiel nicht ohne giftige Stoffe gemacht werden“, klärt Michael Braungart auf. „Kupfer ist extrem giftig – d.h. wenn wir 25 Jahre ,Durchschauen verkaufen‘, können wir das Kupfer dann wieder im technischen Kreislauf endlos einsetzen. Jedes Gebäude hat viele brauchbare Materialien, Immobilien sind absolut wertvolle Rohstofflager.“ In dieser Diensleistungsform sieht Michael Braungart auch die Chance Europas, sich gegen asiatische Billigmärkte abzuheben, weil Qualität wieder leistbar wird.

    „Wenn man in Europa die Nutzung der Solaranlagen statt der teuren Technik verkaufen würde, dann würde sich die Herstellung in Europa wieder lohnen. Derzeit machen wir nur die High-Tech-Entsorgung für chinesischen Sondermüll und sagen ,Europa ist so teuer‘. Ist das wirklich erstrebenswert, dass unsere Industriegesellschaft so werden soll? Wir können nicht als Museum für die anderen dienen, das klappt nicht, dafür ist nicht genug Wertschöpfung da.

    Wir brauchen industrielle Fertigung hier und das geht nur dann, wenn wir die Nutzung der Sachen verkaufen – dann lohnt es sich, die Dinge reparierbar zu machen. Die besten Solarzellen einzusetzen und nicht den billigsten Dreck. Das geht nur über Innovation oder gar nicht“, so Michael Braungart.

    Natürlich tut es gut

    Ideen und Möglichkeiten gibt es mindestens genauso viele wie Produkte und weltweit haben bereits 4.500 Unternehmen das C2C-Konzept umgesetzt. Autos werden wieder aus Autos hergestellt, kompostierbare Autoledersitze, Toilettenpapier oder Schuhe. Aber auch kompostierbares Zeitungspapier, das nicht voller Lack und Kleber in der Altpapiersammlung landet, sondern wieder „zur Wiege zurückkehrt“ und zu einem Baum werden kann. Wenn der Natur wieder zurückgegeben wird, was ihr genommen wird, dann ist ein Leben in Fülle und Verschwendung sogar sinnvoll und wirkt sich nebenbei positiv auf den Menschen selbst aus.

    Als Beispiel dazu nennt Michael Braungart ein Projekt mit Abwasseranlagen, die in Favela-Siedlungen gebaut wurden. „5.000 Einwohner reinigen ihr Abwasser und gießen die Landschaft mit diesem Wasser“, erklärt Michael Braungart. „Das Tolle ist, dass keine unserer 150 Anlagen bisher sabotiert wurde. Menschen in Favelas bringen sich nur gegenseitig um, wenn sie keine Perspektive haben. In unseren Siedlungen ging die Verbrechensrate um über 90 Prozent zurück“, freut sich der Pionier.

     

    Blau ist das neue Grüne: Blue Economy & Cradle to Cradle

    Prof. Michael Braungart erklärt in einem Vortrag wie das „Cradle to Cradle funktioniert: von Produkten, die der Umwelt nützen. Seine Idee ist ein in sich geschlossener Kreislauf – eben von der Wiege zur Wiege. Dahinter versteckt sich nicht weniger als ein Paradigmenwechsel: Die Befreiung vom ewigen Schuldgefühl der Menschheit im Sinne der Nachhaltigkeitsdiskussion, hin zu „intelligenter Verschwendung“, denn auch die Natur kennt keine Abfälle – nur Rohstoffe.

     

    Buchtipp: Cradle to Cradle Michael Braungart, William McDonough Verlag: piper.de ISBN: 978-3-492-30467-2

     

    Weitere Infos zum Thema:
    braungart.com
    epea-hamburg.org
    www.zukunftskongress2015.com

     

     

     

    Magazin Zoë 04/15

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    Biografie: Prof. Dr. Braungart

    BIOGRAFIE

    Prof. Dr. Michael Braungart ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA, einem internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitut in Hamburg. Er ist Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC) in Charlottesville, Virginia (USA), Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts e.V. (HUI) sowie Leiter von Braungart Consulting in Hamburg.

    Braungart studierte Chemie und Verfahrenstechnik. In den 1980er-Jahren engagierte er sich bei der Umweltorganisation Greenpeace und half mit, dort ab 1982 den Bereich Chemie mit aufzubauen, deren Leitung er 1985 übernahm. Im gleichen Jahr promovierte er an der Universität Hannover im Fachbereich Chemie. Um Lösungen für komplexe Umweltprobleme zu entwickeln, wurde EPEA 1987 von Greenpeace gegründet. Seitdem ist Braungart mit Forschung und Beratung für öko-effektive Produkte befasst - also Produkte und Produktionsprozesse in einem Kreislauf, die nicht nur nicht schädlich für Mensch und Natur sind, sondern nützlich.

    Am 4. November wurde Prof. Dr. Braungart im Rahmen des 6. Urban Mining Kongresses in Dortmund mit dem Urban Mining Award 2015 ausgezeichnet. Der Urban Mining Award ehrt besondere Verdienste und Leistungen für die Förderung und Umsetzung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.

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